Technische Redaktion hält Einzug ins Marketing
Eine Anfrage mit Überraschungseffekt
Im Frühjahr erreicht uns eine Anfrage mit folgender Aufgabenstellung:
Styleguide erstellen sowie Texte strukturieren und überarbeiten nach den Qualitätskriterien der technischen Dokumentation: Verständlichkeit, Konsistenz, modularer Aufbau, gute Nutzbarkeit für die Zielgruppen.
Auf den ersten Blick ein klassisches Redaktionsprojekt? Weit gefehlt. Es handelt sich um den Relaunch der Website für den Zentralen Informatikdienst (ZID) an der Uni Wien. Die Technische Redaktion hält Einzug ins Marketing!
Projektumfang
Damit reagiert der ZID auf eine Usability-Evaluation, in der Mitarbeiter und Studenten eine übersichtliche und klare Bereitstellung von Informationen fordern. Das Vermitteln von komplexen Sachverhalten und Strukturieren von Texten ist unser tägliches Geschäft – mit Begeisterung stürzen wir uns auf diese Herausforderung:
- Einheitliche Strukturierung und Gliederung
- Modularer Aufbau von Inhalten
- Konsistente Sprache
Mit Projektabschluss werden wir an die 30.000 Worte strukturiert, modularisiert, gekürzt und sprachlich „in shape“ gebracht haben.
In der Kürze liegt die Würze – ein Styleguide fürs Web
Zeitgleich mit der Neugestaltung der Website beginnen wir mit der Überarbeitung der ersten Texte und halten die Ergebnisse im Styleguide fest. Schon bald treffen wir auf wesentliche Unterschiede zur Technischen Redaktion.
Leseverhalten im Web
Das spezielle Medium Web und die aktuelle Informationsflut haben Einfluss auf das Leseverhalten: Leser scannen Texte nach relevanten Informationen und entscheiden innerhalb kürzester Zeit, ob ein Text lesenswert ist oder nicht. Der Ruf nach kurzen aber interessanten Texten ist laut und deutlich.
Geschlechtergerechte Sprache
Eine Grundvoraussetzung ist, eine geschlechtergerechte Sprache umzusetzen. Um umständliche und wenig leserfreundliche Formulierungen zu vermeiden, entscheiden wir uns, die Leser möglichst aktiv anzusprechen und bei Bedarf auf den Plural auszuweichen.
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit ist eine gesetzliche Vorgabe, die es Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen ermöglicht, Inhalte im Internet und in digitalen Medien zu erfassen. Technisch geht es im Wesentlichen darum, Texte für Vorleseprogramme (sog. Screenreader) aufzubereiten. Wir befassen uns eingehend mit Themen wie Kontraste, Tabellengestaltung, Sprachauszeichnungen, Silbentrennung, Bildunterschriften, Abkürzungen.
Suchmaschinenoptimierung (SEO Ranking)
Hauptfaktoren für das Ranking einer Website sind thematische Aktualität und inhaltliche Relevanz, gepaart mit Querverweisen und einfachen Internetadressen. Spezielle Programme (sog. Crawler) durchsuchen das Web und springen dabei von Link zu Link.
Somit sind wir erneut bei unserem Kernthema Strukturierung und Wortwahl! Welche Überschriftenhierarchie kann durchgängig umgesetzt werden und wie bauen wir diese auf? Schaffen wir es, für jede Hauptseite einen Teaser einzubauen? Wie gehen wir mit Komposita um? Verwenden wir Singular oder Plural? Welche Keywords flechten wir ein und welche Links setzen wir? Hier kommen wir mit zu starren Regeln und konsistenten Begriffen nicht zum Ziel, vielmehr ist hier Flexibilität gefragt!
Teaser
Nur wenn der Text in der Listenansicht der Suchmaschinen überzeugt, werden Sie Leser auf Ihre Seite locken. Eine kurze und knackige Einleitung à la Twitter-Stil kann helfen. Versuchen Sie mal mit etwa 140 Zeichen Ihr Service zu umreißen und dabei Keywords zu verwenden! Eine wunderbare Übung um zu lernen, sich kurz zu fassen und das Wesentliche herauszuarbeiten.
Keywords
Suchbegriffe haben Einfluss auf das Ranking in Suchmaschinen. Das ist eine Wissenschaft für sich. Verwendet man beispielsweise besser „Smartphone“ oder „Handy“? Eine Zauberformel heißt: generische Keywords finden. Außerdem machen wir uns Gedanken zu Long und Short Tail-Keywords.
Zielgruppen
Nicht nur in der Technischen Kommunikation stellt spätestens seit der EN 82079 jeder Redakteur sein Zielpublikum in den Mittelpunkt. Im Marketing war und ist zielgruppengerechtes Schreiben das Um und Auf für das Gelingen der Werbebotschaft.
Mitarbeiter, Externe und Studenten gleichermaßen anzusprechen ist eine Herausforderung bei diesem Projekt. Wir entscheiden uns für ein Farbleitsystem, um die Informationen rollengegerecht anzubieten. Auch auf den Leser Suchmaschine dürfen wir nicht vergessen!
Navigation und Links
Unterschiedliche Navigationsmöglichkeiten sollen die Nutzer schneller zum Ziel führen: Toplinks, Quicklinks, Breadcrumb-Navigation, Ankernavigation, Sidebar, Footer. Dabei ist nicht nur die grafische Gestaltung zur Unterscheidung wichtig, sondern auch das Textkonzept für die Linkbenennung. Die Tendenz geht in Richtung „Sprechende Links“, die den Lesefluss möglichst nicht unterbrechen.
Grafiken, Bilder, Diagramme
Damit Nutzer von Screenreadern Bildinhalte nachvollziehen können, braucht es Alternativtext. Mit einfachen Bildunterschriften wie in der Technischen Redaktion ist es da oft nicht getan. Es gilt, Bildbotschaften kurz und prägnant zu erklären und zwischen Inhalt und Bedeutung zu unterscheiden.
Lösungskonzept für Online-Texte
Die Verständlichkeitsmodelle und ihre Forderungen nach Einfachheit, Gliederung, Prägnanz und Anregung ergänzen wir um die Eckpfeiler der Technischen Redaktion: Strukturierung, Modularität und Konsistenz. Wichtig ist dabei, die Modelle nicht in ihrer Reinform zu verwenden, sondern entsprechend abzumischen. Während eine unstrukturierte Website mit vielen Synonymen die Leser abschreckt, ist eine zu starre und konsistente Regelverfolgung auch nicht zielführend.
Mit diesem Erfolgsrezept aus der Technischen Kommunikation werden Sie Ihre Online-Leser erobern. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen gutes Gelingen – mit KISS (Keep it short and simple).
Eine Kostprobe gefällig?
https://zid.univie.ac.at/
Weiterführende Links:
SEO-Tools: AdWords, Google Suggest
Screenreader: JAWS, Zoomtext, Kostenlos: NVDA
Stand: 2018